Dr. Stefan Scholz

Das Transzendieren der Form
zum Werk von Larissa Strunova-Lübke


Die neuesten Bilder von Larissa Strunowa Lübke erwecken den Eindruck, daß die Künstlerin sie nicht mit Ölfarbe und Pinsel auf Leinwand gemalt, sondern Figuren aus widerstrebendem, steinernem Material gehauen und durch Farbe Leben eingehaucht habe. Sie schälen und winden sich aus gestaltlosem Einerlei in eine unfertige Konkretion. Ihre Gesichter verweigern sich dem Auge des Betrachters. Die Formen ihrer Körper bleiben Fragment. Als wenn Larissa Strunowa Lübke einen Moment ihres Werdens eingefangen hätte... Sie leuchtet nicht mit dem nüchternen Blick der Kamera in den Uterus ihrer Phantasie wie Wissenschaftler das Werden des Embryos im Bauch einer Mutter verfolgen. Den Figuren bleibt ihr Geheimnis. Das Wohin ihres Werdens bleibt im Dunkeln. Doch dieses Dunkel lichtet sich in leuchtenden Farben einer dramatischen Verheißung. Definierte Räume werden aufgebrochen in zukünftige Freiheit. Die antiken Philosophen sprachen von der Potentialität, die jedem Seienden innewohne und es nicht ruhe, bis es das Ideal erreicht habe, in dem sich seine Form vollende. Jene Vollendung dachten sie nicht als statisches zur Ruhe gebracht Sein, dem unweigerlich der Tod folgte; das sich Vollendende zerstörte sich vollends durch Vollendung. Es war ihnen eher ein Bild größter Dynamik vor Augen. In der Vollendung bleiben alle Stadien des Werdens auf sie hin ansichtig, auf einem Blick. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden gegenwärtig, ohne sich ineinander aufzuheben. Alle Ausformungen ein und derselben Form werden gleichzeitig geschaut. Jede ist transparent auf ihre vorgängige und läßt die folgende erahnen. Damit bleibt jeder Moment dieses Werdens ein notwendiger. Das Ganze erübrigt nicht die Bruchstücke. Das Einzelne hält die Vision seiner Vollendung aufrecht. Larissa Strunowa Lübke schafft zeitgemäß unzeitige Bilder. Zeitgemäß, weil sie Patchworkbiographien Rechnung trägt. Lebensläufe erzählen sich nicht in einem Fluß. Immer wieder setzen Handlungsstränge an, ohne sich zu einem Lebensteppich zur verweben. Fäden verknüpfen sich, bleiben aber das schlüssige Muster schuldig; unzeitig, weil sie das Transzendieren im Spiel hält. transcendere meint hinüberschreiten, übersteigen. Dem aktuell Realisierten wohnt eine Kraft inne, die es treibt, das Festgeschriebene, Verfestigte, Definierte zu lösen in ein Unbekanntes, das aus Bekanntem erwächst. transcendere kann auch die Bedeutung von übertreten annehmen. Der Regelverstoß, der alles umstoßende Akt der Befreiung, der das, woraus er erwachsen ist, nur noch als Negation in sich trägt. Die Richtung des Überschreitens kann auch aus dem hier Gegebenen hinausführen in ein jenseitig Erhofftes, dem keine Form Ausdruck verleiht, nur noch lichte Farbe einen Zustand jenseits des Faßbaren anzudeuten vermag. Zur Potenz des Menschen gehört auch der „Sprung in die Transzendenz“, so der Titel eines der Werke von Larissa Strunowa Lübke. Er vollendet sich in einer wie auch immer gedachten, geglaubten göttlichen Sphäre. Auf alle Fälle transzendieren sie die Kategorien von Gefallen und Gefälligkeit. Das schöne Bild als Dekor über dem Sofa, dazu taugen die Bilder von Larissa Strunowa Lübke nicht. Auch wenn sie erworben würden unter dem Anschein ersten Gefallens, kaum vorstellbar, daß es sich leben ließe mit ihren Werken, ohne selbst sich der Dynamik des eigenen Werdens bewußt, ohne angetrieben, angestachelt, provoziert zu werden, das Jetzt zu überschreiten, zu übersteigen, zu übertreten in eine
geahnte, gefürchtete, ersehnte Potenz.

 

 

Dr. Stefan Scholz

Psyche und Eros

zum Werk von Larissa Strunova-Lübke

Die Bilder von Larissa Strunova-Lübke beanspruchen Raum. Nicht nur wegen ihrer großformatigen Leinwände, vor allem der expressiven Farben wegen und der den Bildern immanenten Spannung zwischen Kontemplation und ekstatischer Bewegung ihrer Figuren. Muße zur Betrachtung verlangen sie auch dem Betrachter ab. Erst auf den zweiten oder dritten Blick treten aus den in-, über- und nebeneinander gelagerten Farbfeldern Gesichter und Figurenfragmente hervor, die dem ersten flüchtigen Überfliegen der Bilder verborgen geblieben waren. Frau, Mann - Mann, Frau - Mann, Frau - Frau, Mann; Larissa Strunova-Lübkes großes Thema ist der Mensch, in seiner geschlechtsspezifischen Individualität ebenso, wie in seiner Beziehung zu einem Du, gleich welchen Geschlechts. Die Künstlerin denkt und fühlt in Farben. Deren willkürliche Setzung auf der Leinwand wird nach und nach durchschaut auf einen von der Intuition geleiteten künstlerischen Ausdruck, der dem nachspürt, wer der Mensch ist. Larissa Strunova-Lübke stellt sich der Aufgabe, die Identität des Menschen mit den Mitteln der Kunst auszuloten, in dem Wissen, daß man damit nie an Ende kommen wird. Ein- und dieselben Motive erfahren immer neue, andere Bildgebungen. Ein bloßes Repetieren kunstgeschichtlicher, spiritueller, religiöser oder philosophischer Traditionen reicht in der existentiellen Auseinandersetzung des Menschen mit sich selbst nicht aus. Sie verlangt nach einem individuellen Ausdruck.
Die antike griechische Philosophie faßt ihre Überlegungen hierzu unter die beiden Begriffe Leib und Seele, die Mythologie der Griechen entspinnt das Verhältnis der Geschlechter, etwa in ihren Erzählungen von der Liebesgöttin Aphrodite, die sich mit Ares, dem Gott des Krieges, im Bund der Ehe verbindet. Ihr gemeinsamer Spößling ist Eros. Er weckt das Verlangen nach selbstloser Hingabe genau so, wie er einen Menschen im Strudel seiner Begierden und Lüste hinabzureißen und emporzuheben vermag. Aphrodite verdankt ihre Geburt dem Sturz und der Entmannung des Himmelsvaters Uranos durch seinen Sohn Kronos. Die Spermien des abgeschlagenen göttlichen Gliedes ergießen sich in den Uterus des Meeres und formen den Leib der neuen Göttin. Aus einem Akt des gewaltsamen Aufbegehrens keimt die Liebe. Im Gefolge der Aphrodite finden sich Götter und Halbgötter. In ihrer gegensätzlichen Wirkweise machen sie die Liebe zu einem gleichermaßen erfüllenden wie entfremdenden Element für Götter und Menschen. Eros weckt die Lust, sich hinzugeben, Himeros entfacht Glutstürme des Begehrens; die Chariten verkörpern die Tugenden und die Anmut der Liebe, Peitho hingegen, die Göttin der Überredung, verführt zu Laisonen mit oft tragischem Ausgang; über allem stehen die Horen. Sie versuchen, als Gebieterinnen über die Zeit, die auseinanderstrebenden Kräfte der Liebe in den sinnstiftenden Bahnen der göttlicher Ordnung zu bergen. Die Wahl der Ehemänner verblüfft. In erster Ehe gab sich Aphrodite dem Hephaistos. Im Inneren der Erde hantierte er mit Feuer zur Erzschmelze. Er verkörpert in der Götterwelt den derben Typ des Machers ohne großen Sinn für die Leidenschaften. Vielleicht trieb dieses Unverständnis Aphrodite schließlich in die Arme des Ares. Unter den Olympiern mißtrauisch beäugt und verhaßt, weil ihm der Krieg um des Krieges willen gefielt, wurde er mehr aus Zwang denn aus Liebe im Kreis der höheren Götter geduldet. Vielleicht hofften sie auf Mäßigung seines zerstörerischen Temperamentes durch die angenehme Aphrodite. Streit, Schrecken und Furcht, die chaotischen Mächte des Kampfgetümmels und die Dämonen des Todes dienten Ares bei seinem Kriegshandwerk. Die Mythen erzählen immer auch vom Menschen, seinen Dramen, die sich entwickeln, bis Liebessehnsucht sich in einem Geliebten erfüllt und das Erfüllte sich tragisch wendet in Langeweile, Eifersucht, Gewalt, bis aus der Fülle wieder Mangel geworden ist und sich in neuen Sehnsüchten entlädt, hoffend, daß sich in einem Menschen der Kreislauf des Suchens rundet und in ihm endet.
Der Eros springt den Betrachter aus den Bildern von Larissa Strunova-Lübke an, als anmutige Verführung, in lasziver Geste, vergewaltigender Aneignung, ekstatischer Auflösung, Hingabe mit Vorbehalt, im Ringen mit sich und einem Du.
Zentrifugale und zentripedale Kräfte im Gefolge der Liebe scheinen den Menschen eher zu zerreißen als zu sich selbst zu bringen. Wie läßt sich angesichts der diametralen Triebkräfte des Eros von menschlicher Identität sprechen? In der griechischen Philosophie der Antike bezeichnet Psyche das Wesen des Menschen. Wie Leib mit dem Eros und Psyche mit dem Nous, der Vernunft, zusammenkommen, beschäftigte die Philosophen. Plato sah beide nur lose zusammengefügt. Am besten wäre es, ginge der Mensch lieber heute als morgen seines Leibes verlustig. Denn durch die Begierden des Körpers kommen die Leidenschaften in die Welt, die immer wieder Enttäuschungen erfahren und Leid schaffen, und der Krieg. Die Vernunft hingegen sucht, das Leid zu meiden und sich in die eigentliche Welt der körperlosen Ideen aufzuschwingen und dort die Erfüllung zu finden. Wie ein erfahrener Wagenlenker steuert die durch die Philosophie gebildete Vernunft die edlen Triebkräfte des Menschen und seine gefährlichen animalischen Leidenschaften wie zwei Rosse vor dem Wagen auf den kultivierten Weg der Vergeistigung. Der Leib und seine Kräfte zerstören den Menschen. Er ist ein Gefängnis für das, was des Menschen Wesen ausmacht, die Psyche.
Aristoteles sieht den Menschen als Einheit von Leib und Seele. Die Psyche ist die formende Kraft, die den Leib des Menschen zu seinem Ziel führt. Die Seele wohnt dem Leib nicht zwangsweise inne, in der Erwartung, ihn als bald wie möglich wieder verlassen zu können. Die Psyche durchwirkt den ganzen Leib. Sie formt den Leib des Menschen und ist in allen seinen Aspekten präsent. Leib und Seele sind unterscheidbar, aber nicht zu trennen.
Die philosophischen Anthropologien des Plato und Aristoteles in ihrer unterschiedlichen Betrachtung des Menschen prägen bis heute die abendländische Geistesgeschichte.
Larissa Strunova-Lübke reiht sich eher in die aristotelische Denkrichtung mit ihrem künstlerischen Werk ein. Ohne Tabus und Ausgrenzungen taucht sie ein in das Geheimnis des Menschen von Leib und Seele, von Eros und Nous, und macht ihre Bilder selbst zu einem Geheimnis, indem sie sich dem gewalttätigen Blick des Konsumenten oder Voyeurs verweigert, die meinen, alles in einem Augenblick sich aneignen zu können. Jedem Liebesakt geht voraus oder folgt hintendrein und begleitet mittendrin die Kontemplation. Menschen brauchen Zeit zu ihrer Menschwerdung, Freiräume für ihre Leidenschaften, ein Bewußtsein für ihr eigenes Geheimnis und das des Geliebten, und die Fähigkeit nachdenkenden Reflektierens über das Universum ihres Fühlens und Denkens - und Künstler wie Larissa Strunova-Lübke, denen es gegeben ist, all dem einen Ausdruck zu geben, der selbst zu einem Akt der Liebe wird.

 

Kunsthistoriker: Benedikt Brebeck

zum Werk von Larissa Strunova-Lübke

Das erste Gemälde, das ich aus Larissas Werk kennenlernte war Samsara aus dem Jahr 2016. Das Bild erregte sofort meine Aufmerksamkeit, nicht nur wegen des großen Formats, sondern vor allem wegen etwas schwer zu Benennendem, das einen wie bei einer schönen Frau, der man auf der Straße begegnet, nicht loslässt und das im Bewusstsein nachhallt. Ein kleines Detail, ein kurzer Blick, die Art dieser einen Körperbewegung. Diese scheinbare Oberflächlichkeit, die in sich schon viel mehr Tiefe verbirgt, als man ahnen würde, denn schließlich kann man erst von der Oberfläche aus in die Tiefe gelangen. In dieser Eigenart sind schöne Frauen und schöne Gemälde sich äußerst ähnlich. Dieses schwer zu Benennende ließe sich also durchaus mit dem Begriff der Schönheit zu fassen versuchen, beinhaltet er doch sowohl Oberfläche als auch Tiefe.
Ich hatte nun das Glück das Gemälde Samsara in den folgenden Wochen täglich zu Gesicht zu bekommen und somit von seiner Oberflächlichkeit und über den ersten Eindruck von Farbe und Form hinaus weiter in die Welt der Malerei eintauchen zu können. Der Inhalt bestätigte das bisher Wahrgenommene und Empfundene. Den Großteil des Bildraumes nimmt zentral die Gestalt eines Jungen in hockender Haltung ein. Seine grün gestreifte Hose und die hellgrauen Sandalen, die er trägt, stechen markant hervor. Die Ärmel seines hellen Oberteils sind hochgekrempelt. Mit beiden Händen umfasst er ein fast weißes, reines Gefäß, eine Schale. Mit ihr tritt er in direkten Kontakt mit einem dunklen abgetrennten Schafskopf, der direkt vor ihm liegt. Die Rottöne an der Schnittkante des Kopfes, die im Rest des Gemäldes kaum vorhanden sind, erinnern in der Art der Darstellung an Blut und bestätigen eine sich zugetragene Gewalttat und die Leblosigkeit des Körperteils. Zwischen dem Jungen und dem toten Kopf des Tieres spielt sich nun eine Geste ab, die von solcher liebevollen Zuneigung zeugt, dass es schwer fällt, sich als Betrachter davon abzuwenden.

Das Kind, seinen Blick fest auf die Berührung der Schale mit dem leblosen Kopf gerichtet, scheint noch nicht begriffen zu haben, was der Tod ist, was er bedeutet und was ihn als Teil unseres Lebens ausmacht. Und falls dem doch so ist, weigert es sich diese Erkenntnis in ihrer Schlussendlichkeit und Unumstößlichkeit anzuerkennen. Vielmehr sieht es in dem Kopf die Existenz des gesamten Lebewesens, dem er angehörte, und versteht zugleich, dass da etwas nicht stimmt, dass dieses Lebewesen durch das Tränken aus einer Wasserschale fremder Hilfe bedarf. Die Reinheit der kindlichen Wahrnehmung, klar und ungetrübt, trifft in diesem Moment auf die Erkenntnis von Schrecken, Gewalt und Tod, die in der Welt herrschen. Ein kaum zu beneidender Moment, befleckt er doch die reine, kindliche Weltsicht und führt gleichzeitig in einen Zyklus des Seins, dessen der Mensch im Lauf seines Lebens gewahr wird und dessen Teil er von Beginn an ist. Ein Moment also vom Friedvollen in die Tragik der Erkenntnis. Dass es ausgerechnet Lämmer sind, die im Bildmittelgrund die Szene mitfühlend betrachten, unterstreicht nur die Brisanz des Augenblicks.
All das spielt sich ab vor einem Hintergrund aus Farbe und Form, der in seiner Flächigkeit doch eine Tiefe auszubilden weiß. Die Farbigkeit in ihrer Helle und Großteils freundlichen Wärme ist dabei konträr zur Tragik der dargestellten Szene und beleuchtet somit mehr die geistige Wahrnehmung des Kindes.
Wie in der Welt des Traums löst sich klarer und deutlicher ein Fokus auf eine Szene und einzelne Gestalten heraus. Ein Fokus der bald wieder im Begriff ist sich im Raum zu verlieren. Oder umgekehrt treten Figuren erst hervor, während sie sich aus der Räumlichkeit der Bildfläche fokussieren lassen. Dieses Moment findet sich stets in den Gemälden Larissa Strunowa-Lübkes. Deshalb brauchen sie Zeit zur Betrachtung, so wie ein guter Traum Zeit braucht geträumt zu werden. Zwischen Traum und Realität entfalten sich diese großartigen, großformatigen Bilder. In ihrer Metamorphose, die sich während der Betrachtung einstellen kann, liegt die Wirkung dieser Kunst. Und was sich dabei entdecken lässt, reicht von ästhetischer Eleganz über Fragen aufwerfende Details bis hin zu erschreckender Schönheit. Immer als Beschäftigung des Betrachters, des Menschen mit seinem Sein als Individuum und seiner ihn umgebenden Welt. Die Freude in der Anschauung der Malerei Larissa Strunowa-Lübkes liegt also zwischen dem breiten Spektrum des Begriffs der Schönheit in all ihrer Herrlichkeit und Tragik und der ungreifbaren Tiefe geistiger Wahrnehmung in Verbindung mit einer Verortung seiner Selbst in der einen umgebenden Welt, deren Auffassung immer eigen und individuell ist. Ein höchst intimer Moment der Betrachtung!


Die Gemälde Larissa Strunowa-Lübkes zeigen oft menschliche Körper im Ideal. Wie antike Statuen das Idealbild des Körpers und der Körperlichkeit aus dem kalten Material des Marmors erstehen lassen, so schälen sie sich auch aus dem Bildraum dieser Malereien, wenngleich im Spiel der Farbigkeit viel lebendiger und damit niemals statisch. Diese Körper entfalten sich mit ihrer räumlichen Gestalt im körperlich oft undefinierten Raum des Bildes und so entstehen erhabene oder tragische Szenen im Wechselspiel von Dasein und Leere, die sich auch als seelische Zustände lesen lassen, besonders vor dem Hintergrund der Farbwirkung.
Andere Arbeiten widmen sich intensiver dem Gesicht, weg vom Körper. Man sagt hier ist des Menschen Pforte und Spiegel seines Inneren. So zeigen die Gesichter in der malerischen Gestaltung ihrer Oberfläche und im Nebeneinander der kontrastierenden Farbflächen eine Divergenz, die hinter die äußere Gestalt zu gehen scheint und in undefinierte Tiefen vordringt.
Es braucht also nicht nur die gedankliche Auseinandersetzung mit sich selbst, eingebunden in den Kosmos menschlicher Daseinskonstrukte. Vielmehr kann die Kunst Larissa Strunowa-Lübkes solche Auseinandersetzungen im Vorgang der Betrachtung anstoßen. Der Wille zum Moment des Verlusts in den Metamorphosen Welten der Gemälde geht ebenso mit dem Betrachtungsprozess einher. Gerade in diesem Zusammenspiel von Intensität und Flüchtigkeit liegt die Intimität dieser Kunst, nicht nur für den Betrachter, sondern auch für die Künstlerin selbst.

Peter Feuser

SEELE(N)SUCHT

Versuch einer Annäherung

Larissa Strunowa-Lübke, geboren und aufgewachsen in Swerdlowsk (Jekaterinburg) in unmittelbarer Nähe zum Ural. Im kommunistisch geprägten Moskau absolviert sie eine klassisch-akademische künstlerische Ausbildung. Seit 1995 lebt und arbeitet Larissa in Deutschland. Sie ist Mitglied im BBK Schleswig-Holstein und gehört dem Künstlerbund Rendsburg-Eckernförde an. Ihre Arbeiten sind weltweit in Museen, Galerien, privaten und öffentlichen Sammlungen, u.a. in Miami, in der Avant Gallery, neben Bildern von Andy Warol, Enzo Naso und Dodit Artawan zu finden. Ihre Bilder erregen Aufmerksamkeit, sie sind gefragt!

Ausgangsort ihres künstlerischen Schaffens ist ihr Atelier in Heide in Dithmarschen. Die Bilder, die dort entstehen, beanspruchen Raum. Wer sich auf sie einlassen will braucht Zeit, Muße, Bereitschaft zum inneren Dialog: großformatige, farbintensive, ausdrucksstarke Bilder als Aufforderung zur Stellungnahme - Auseinandersetzung mit menschlicher Existenz in allen Facetten!

Farbdominanz und perspektivisch angedeutete  Figurenfragmente, spannungsgeladenes Aufeinanderprallen von Kontrasten, klare Konturen mit versteckten, sich oft erst nach längerer Zuwendung erschließenden Momenten; der menschliche Körper, nackt und reduziert auf  Befindlichkeiten: Sexualität, Angst, Gier, Macht, Trauer, Zorn, Abwendung, Zuneigung, Begehren, Kampf, Hingabe, Geborgenheit - in Farben festgehaltene innere Zustände! Dynamik, Explosivität, Bewegung aber auch Versunkensein und melancholisches Innehalten. Gefühlswelten, festgehalten in expressiven Farbklängen und gekonnter Komposition: Polarität!

Menschliche Körper mit klaren Konturen und schemenhaft angedeutete, sich verflüchtigende Silhouetten - scheinbar gesichtslose Frauen, Männer, Kinder – Einzelne, Paare, Gruppen, in Beziehung zu einander, isoliert oder im Nebeneinander - sinnliche Befindlichkeiten von in die Welt „Geworfenen“, der auf  Wesentliches reduzierte Mensch, ohne Verkleidung, nackt, wie er kommt, eine Weile bleibt und geht: Hinweise und Andeutungen!


Bildhafte Auseinandersetzung mit ewigen Fragen menschlichen Seins: Was ist der Mensch? Was bestimmt ihn? Woher kommt er, Wohin geht er? Was ist der Sinn des Ganzen? Fragen, die sich Menschen zu allen Zeiten in ihren Träumen, Visionen, Fantasien, Mythen, Sagen, Märchen, philosophischen Denkgebäuden  - und vor allem in der Kunst gestellt haben: Kunst verstanden als Besinnung auf Wesentliches, als Suche nach Antwort auf existenzielle Fragen: Streben nach Wahrheit!

Malen bei Larissa Strunowa-Lübcke als intuitives Reagieren auf Impulse von Außen und Abtauchen aus einer verkopften Welt mit ihrer verführerischen Banalität. Leben ist Malen,  es ermöglicht absolute Konzentration auf sich selbst,  Bei-sich-sein im Vergessen von Zeit und Raum. So wird rastloses Suchen im Farben- und Formenrausch, Seelensuche, zur Seelensucht.

Temperamentvolles, dynamisches, provozierendes Überschreiten von Grenzen - intuitives Erfassen von Wirklichkeit, nichts ist Berechnung. Larissa: „Was ich male ist Teil von mir.“ Ihre Bilder einerseits verstanden als Ergebnisse von in sich abgeschlossenen, dynamischen Suchprozessen der Künstlerin, andererseits als Einladung an den Betrachter, sich auf das fertige Bild einzulassen und in ihm die eigene Gedanken- und Gefühlswelt zu entdecken und zu erfahren: Bildbetrachtung als kommunikativer Prozess!

Formen und Farben sind Sinnbilder, die  individuelles Nach- und Aufspüren von Verschlüsseltem und Hintergründigem erfordern. Keine Eindeutigkeit des Dargestellten. Was mir das jeweilige Bild sagt hängt davon ab, wie ich es anspreche, wie ich mich zu ihm stelle und das kann, abhängig von meiner  Stimmung, ganz unterschiedlich sein. Lebendige Bilder!

Sexualität und Erotik: Eros, in der griechischen Mythologie ein Dämon, der die Menschen für das Wahre, Gute und Schöne begeistert - Eros verstanden als Verkörperung des Strebens und der Suche nach dem Wertvollen und dem Unbedingten in der liebenden Zuneigung zum Geliebten. Der Körper als Hülle und Fessel und das verzweifelte Bestreben, sich davon zu lösen, zu befreien, aufzugehen in einem Größeren. Leben als nicht ankommen können, Auf-dem-Wege-Sein als Schicksal!

Amor (Eros) verliebt sich in  Psyche, die wunderschöne sterbliche Königstochter. Nachts teilt er mit ihr, verkleidet als Mensch, das Bett. Sie muss ihm versprechen, nicht herausfinden zu wollen, wer er sei. Sie hält sich nicht daran. Er verlässt sie. Psyche sucht den Geliebten. Gepeinigt von der eifersüchtigen Venus muss sie in die Unterwelt. Amor/Eros wendet sich an Jupiter, beichtet seinen Ungehorsam und darf Psyche heiraten. – Psyche und Amor/ Eros als  Allegorie menschlichen Strebens nach Liebe, nach Wahrheit, nach Aufgehen in einem größeren Ganzen! Seelenleben als ewige Suche! 
(bei dem römischen Schriftstellers Apuleius, ca. 125-180 n. Chr.)

Ich fasse zusammen:

Bilder als Brückenschlag zum Seelenleben des Betrachters. Aufgebrochenes, Fragmentarisches, Konfrontation mit Erinnerungen, Erlebnissen, Gedanken, Gefühlen, Stimmungen – in Form gebrachte Seelenzustände! Entschlüsselungen des Leitmotivs Mensch. Kunst, nicht als realistisches Abbild sondern als Äquivalent von Seelenzuständen. Farben und Formen werden zu den Betrachter in Schwingungen bringenden Tonklängen, die, wie in der Musik, Assoziationen wecken: Sehen wird zum tieferen Fühlen, Empfinden!

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"Über Bilder lässt sich  nichts sagen, man liebt sie oder  verabscheut sie, aber mit Worten  lassen sie sich nicht erklären -  jeder muss sie sich selber  erschließen" (Picasso)

Larissa Strunowa-Lübke –

mit ihren Arbeiten eröffnet sie Freiräume für eigenes Denken!
mit ihren Arbeiten provoziert sie die Konfrontation mit der ureigensten Gefühlswelt!
mit ihren Arbeiten eröffnet sie dem Betrachter Wege zu sich selbst!

 

 

 

Kunsthistoriker Jens Martin Neumann



"Ein Gemälde", so definierte Constant, Amsterdamer Mitglied der Gruppe COBRA, einmal seinen Bildbegriff, "ist ein Tier, eine Nacht, ein Schrei, ein Mensch". Kunst soll demnach das ganze Leben ins Bild setzen - frei von falschem intellektuellem Kalkül, im Ausdruck direkt wirksam, ungehemmt und unmittelbar. Ich denke, auch heute Abend treffen wir auf solche Bilder.

Larissa Strunowa-Lübke verfolgt eine gestische, ausgesprochen schwungvolle, ja leidenschaftlich aufgewühlte Malerei, in deren Mittelpunkt Figuren von hoher körperlicher Präsenz stehen. Aus vielschichtigen, fleckig schwellenden Farbteppichen oder mehr nebulösen, duftig changierenden Farbwolken erwachsen oftmals lebensgroße, ausgesprochen eindringliche Akte und monumentale Frauen, Männer oder Kinder, die in fließender Malgeste, ruppiger Handschrift und kräftigen Farben mit wenigen, vehement geführten Pinselstrichen summarisch bezeichnet, aus knappen, vibrierenden Konturen und pointiert gesetzten Farbflecken formuliert und dabei leichthändig in jeder erdenklichen Haltung, Aktion oder klassischen Pose eingefangen sind. Direkt aus der Handlung des Malens entstehen angeschnittene, Format füllende Einzelgestalten, Paare oder Figurengruppen in kürzelhaft bezeichneten Farbräumen, deren materielles Beieinander als transparente Überlagerung, gespiegelte Staffelung oder fortlaufende Bewegungssequenz inszeniert wird. In den Gesichter oftmals ausgetilgt, verdichtet sich das Farbgeschehen in einzelnen "Leibinseln", realisiert sich die Figur also primär in einzelnen, aus feinen Verkürzungen plötzlich vorwölbenden Körperpartien - einer Hand, einem Unterschenkel oder Bauch, die dort stärker plastisch modelliert sind. In der Konzentration auf die, in einem Bild reduzierte Farbskala, der Gesichtslosigkeit der Figuren und der Ort- und Zeitlosigkeit der farblichen Umgebung offenbart sich eine kalkulierte Organisation der Bilder, die aus der Intimität subjektiver Setzung heraus zu stärker objektiver Allgemeingültigkeit durchbricht.

Larissa Strunowa ist durch und durch Malerin, ihre Bilder werden getragen von den Grundwerten der Malerei, dem Licht, der Farbe, dem Bildprozess. Ihre Arbeiten bekunden das prozesshafte Ringen um einen eigenen malerischen Weg durch die Wiederfindung menschlicher Gestalten aus dem informellen Fluss der Farbe, und so tauchen aus kraftvollen Pinselzügen und reinen Farbmustern schemenhafte, verschwimmende Figurenbildungen auf, die - gerade erst zur Form verfestigt - gleich wieder aufgelöst werden und damit genau auf der labilen Grenze zwischen amorphem Farbverlauf und genetischer Verfestigung verharren, gleichsam im bildnerischen Prozess des Verschwindens festgehalten sind. Die Künstlerin trennt sich sofort wieder unbefangen von der realen menschlichen Gestalt, denn sie macht sich lediglich die beiden Grundprinzipien der Körperdarstellung - betonte Kontur und farbige Modellierung - zu eigen, wendet sie aber genauso jenseits der Figuren auf ihren farbigen Umraum an, um abstrakte graphische Liniengeflechte und flächige Farbfenster zu erzeugen, in welche ihre Protagonisten untrennbar eingewoben sind. Unter, über und neben den Figuren liegt somit eine teils weicher, teils aggressiver Dunstschleier der Abstraktion. Die Figuren passen sich ebenso an diese ungegenständliche Flächenkomposition an wie umgekehrt Farbschichtung und Lineaturen imaginierte Leiblichkeit erhalten. Damit sind auch gewohnte Figur-Grund-Beziehungen ganz in das Farbereignis verlagert, stilisieren zum räumlichen Anschwellen, Durchschimmern, Verwischen und Vibrieren. Die nackten Körper selbst bieten Anlass für eine schön scheckige Farbmalerei, die zwar Licht und Schatten respektiert, reale Haptik von Haut und Fleisch jedoch zugunsten zügiger Malgeste und koloristischer Verflächigung eliminiert. Diese konzeptuelle Gleichheit ist hier wichtiges Bildmittel: anstelle von illusionistischen Konventionen vielfältige, rein malerisch motivierte Verschmelzung, Fortsetzung und Korrespondenz einer Form, Farbe oder Linie auch über die, nur scheinbar abgeschlossenen Körper hinweg.

Gleichzeitig sinnlich und aus einem breiten Farbspektrum zusammengesetzt, figurativ noch realistisch und doch frei im Duktus, erzeugt Larissa Strunowa die Prägnanz ihrer Bilder vor allem durch die entschiedene malerische Geste. Die Künstlerin trägt die Farbe in züngelnden Bahnen auf die Leinwand auf, breitet ein impulsives Stakkato nervöser Pinselstriche aus, peitscht Farbschlieren über den Untergrund, durchfurcht die dichte Farbpaste und kritzelt graphische Zeichen ein, verleiht der Farbe somit eigenständige Qualität und substanzielle Stofflichkeit, verhilft ihr zu eindrücklicher Wirkung. Ihr eigentliches Thema ist also die Malerei selbst, ihre Urstoffe und Bedingungen: Bildträger, Farbe, Fläche, Malverfahren, Bewegungsverlauf und Textur. Die Leinwand ist hier das Aktionsfeld, gewissermaßen Zeugungsstätte gemalter Körper aus dem Körper der Künstlerin; Malmotorik und Bildprozess bilden eine untrennbare Einheit, oder schlichter gesprochen: Das Bild wird hier direkt im Malen gefunden. Und die ausgeführten Bilder überliefern in den sichtbar dynamischen Malspuren diese impulsive Malgebärde, bringen in ihrer erregten Durchschreibung diverse Momentaufnahmen ihrer Entstehung.

Die freien Strichsetzungen und dynamischen Farbverdichtungen führen zu höchst vitalen, eben künstlerisch spannungsvollen Figurenbildungen, die bei Larissa Strunowa immer Inhalt und freie Malerei in einem sind. Pinselstriche und Farbflecken besitzen zwar dingliche Funktion und dienen der malerischen Erzählung, doch gleichzeitig zielt diese Malerei auf die Überprüfung ihrer eigenen Grundlagen ab, also auf die Mittel, die zum Gemälde führen und einem Bild wesentlich sind. Einerseits ergründet Larissa Strunowa in der malerischen Verflüchtigung der Figur die Urformen des künstlerischen Gestaltungsprozesses, der planlos, aber doch unterbewusst gesteuert und vor allem zwangsläufig geschieht, andererseits nutzt sie diese stilisierte Figuration mit ihrer durchaus obsessiven Geste, um ihre Geschichten von menschlicher Existenz im Spannungsgefüge von Selbstfindung, Humanität und Gefährdung überhaupt erzählen zu können. Sie belässt die Figuren in der Ambivalenz zwischen malerischer Konstruktion und ihrer eigenen narrativen Dynamik. Die heftig eingesetzten Bildmittel - leuchtende Farben, rascher Farbauftrag, deutliche Handschrift und raue Strukturen - entspringen einem zutiefst malerischen Prinzip, aber gleichzeitig einer offensiven Haltung, solchen alles andere als harmlosen Geschichten zu Leibe zu rücken. Man könnte mit einer alten Einsicht Francis Bacons anmerken, "beim Malen ist Verzweiflung vielleicht nützlicher, mit ihr findet man einen radikaleren Weg, ein Bild zu machen: man geht dann ein größeres Risiko ein."

Dieses Strunowasche Nachdenken über Malerei wirkt demnach tief in die Art und Weise ihrer Erzählung hinein. Jede formale Entscheidung ist hier ebenso eine inhaltliche und umgekehrt, denn Bilder vom Menschen stehen immer auch für "Menschenbilder", Figur und Akt sind eben Ausdrucksträger. Unmittelbaren Zugriff auf den Menschen erlaubt der Blick auf den nackten Körper, ist er doch nicht nur seiner Kleider, sondern auch den Statusbeigaben seiner sozialen Stellung beraubt. Der nackte Leib, diese innerste materielle Substanz des Individuums, lässt in seiner Beschaffenheit, Haltung und Geste eine Fülle von Ausdrucksmöglichkeiten zu, spiegelt stets auch sein Innenleben. Die Künstlerin entwirft gerade mithilfe des chiffrenhaft formulierten Aktes höchst eindringliche Bilder menschlicher Seelenzustände. Und damit erhält die malerische Auflösung der Figuren auch ihre inhaltliche Bedeutung, da erst durch diese skizzenhafte Offenheit dem Betrachter ein weitläufiger Assoziationsraum eröffnet wird und die Farbzeichen zu bildmächtigen Metaphern stilisieren können. Ihre zerfließenden Körper sprechen dann von Transparenz, Fragilität und Verletzlichkeit, gerade in den Kleinkindern von Wehrlosigkeit, die kraftvolle Farbe und ungestüme Malweise zugleich von Gewalt, Obsession und Ekstase. Stets regiert eine eigentümliche, erneut formale wie inhaltliche Spannung zwischen forsch greller Direktheit und ruhig maskenhafter Statuarik. Es geht bei dieser Art von Figurenmalerei schlicht um menschliche Emotionen, um Freude und Trauer, Hoffnung und Sehnsucht, Zorn, Zweifel oder intime Befindlichkeit. Mit mutiger Selbstverständlichkeit, offensiv, ehrlich und schonungslos, dadurch oft provokant, dokumentiert die Künstlerin solche Stimmungen, indem sie symbolische Übersetzungen dafür findet.

Larissa Strunowas Werk beruht auf einer individuellen, sehr privaten und oftmals aus dem Unterbewussten schöpfenden Mythologie. Sie setzt auf ein spezifisches Sampling von Bildern und Eindrücken, von vielfältiger Gestalt und vielschichtiger Anspielung, das ein breites Assoziationsfeld arrangiert, sich aber der letzten rationalen Analyse versperrt, dafür aber ein ausgesprochen eigenwilliges Muster von Konzept und künstlerischem Ereignis ausbreitet.

 

 

Meine Gedanken

Menschen sind vor uns gekommen, Menschen wird es nach uns geben - lediglich die Gefühle des Menschen haben seit Jahrtausenden Bestand. Der Mensch kommt nackt, und er geht nackt. In der bildenden Kunst ist der menschliche Körper die optimale Ausdrucksform, Gefühle unverfälscht zum Ausdruck zu bringen, ehrlicher und aufrichtiger als das gesprochene Wort. Mit seiner unverhüllten Darstellung lassen sich Gedanken, Gefühle und Visionen auszudrücken. Ohne (Ver)Kleidung ist der Mensch offen und ehrlich, hat keine Möglichkeit, etwas zu verbergen.
Meine Arbeiten erzählen sehr unterschiedliche Geschichten, die irgendwo in dem weiten, meist zwiespältigen Gefühlskosmos zwischen tiefster Traurigkeit und größter Freude angesiedelt sind. Das wichtigste, immer wiederkehrende Hauptmotiv ist das Kommen und Gehen, der ewige Kreislauf des Werdens und Vergehens, in dem das Alte abgestreift wird, um Neues hervorzubringen. Zwischen Geburt und Sterben liegt die Fülle des Lebens mit den immer gleichen Fragen: das Erwachsenwerden, die Verführung, die Freiheit, die Mutterschaft, das Loslassenkönnen. Es sind meine eigenen, sehr persönlichen Gefühle, die in meinen Bildern Ausdruck finden, die aber gleichzeitig allgemeingültig und weltumspannend sind. Denn ich bin Teil der Menschheit, ich empfinde mit der gleichen Intensität wie andere Menschen auch.
Der Prozess des Schaffens ist ein Dialog, die Klärung einer Frage zwischen mir und etwas Höherem. Das fertige Bild ist dann die Antwort auf zeitlose Fragen. Oft ist es eine ganze Reihe von Bildern, die sich mit der gleichen Fragestellung beschäftigt. In einem einheitlichen Format, reflektieren sie ähnliche, aber doch unterschiedliche Aspekte bestimmter Emotionen. Die einzelnen Arbeiten bilden so Fragmente eines Ganzen.

Larissa Strunowa-Lübke

 


Prof. Dr. Tatiana Yurieva
Kunsthistorikerin, Smolny Institut, St. Peterburg

LARISSA
Erscheinung - Larissa Strunowa

Geboren und aufgewachsen in Russland und jetzt erfolgreich Schaffende auf dem Feld der Kunst in Deutschland. Dass Larissa diese Bedeutung hat, stellt keinen Zufall dar.

In unserer Welt, dem gemütlichen und gesättigtem Europa ist es schwierig eine ernsthafte Künstlerin zu sein. Besonders wenn man versucht, eine Ausdrucksform in der Malerei zu finden für die ewigen, geistig-seelischen Probleme. Mir gefällt besonders, was in Larissa Strunowas Gesicht die Aufmerksamkeit der westlichen Besucher auf die russische Kultur lenkt.

Die durchlaufene Moskauer Schule bildete die Wurzeln und prägte ihre künstlerischen Suche. Alles was in ihrem Leben passierte, wurde diktiert von ihren eigenen Entscheidungen. Zu keinem Zeitpunkt passte sie sich dem konventionellen Leben an. Sie erkannte nie offizielle Namen und Ränge an. Auch ein einfaches und glückliches Leben, wie das der Hofmaler, kam für sie nicht in Frage.

Die junge Künstlerin wünschte sich die Welt kennen zu lernen, die besten Museen zu besuchen und das zeitgenössische, vielseitige Kunstleben zu erkunden. Die "Perestroika" veränderte Larissas Umlaufbahn und verhalf ihr zu einem Anschluss an westliche, künstlerische Prozesse. Sie beteiligte sich an unterschiedlichen, internationalen Ausstellungen in Polen, Deutschland, Dänemark, Estland sowie den Niederlanden. Die ausgestellten Bilder waren nicht nur aus dem Bereich der Malerei sondern auch aus den grafischen Arbeiten gewählt. Ihre Aquarelle, widmete sie dem Thema "Konzept" - Gedankenkonzentration, Extrakt. Diese Aquarelle entsprechen in vollkommener Weise höheren, künstlerischen Ansprüchen. (Die Darstellung nackter Körper betont in ihren Blättern die mittelalterliche Reife.)

Zum Glück verstand sie es schon früh, dass nur die aufzehrende, bewusste, experimentelle künstlerische Arbeit die Möglichkeit gibt, auch bei riesengroßer Konkurrenz auf der eigenen Umlaufbahn zu bleiben und ein höheres Niveau zu erhalten ...

Der Einfluss des Lebens im Westen auf die Künstlerin Larissa Strunowa drückte sich in einer spannenden farbigen Fläche aus, die frei umgeht mit der Sprache der Kunst, aber auch mit der realen Welt im Ganzen. Diese Eigenschaft verhalf ihr dazu, die expressionistische Linie und die vollkommene klassisch-plastische Tradition. "einfach" zusammen zu bringen.

Ihre Kunst schafft tatsächlich eine wichtige Mission, sie heilt und rettet. Larissa besitzt die Eigenschaft der durchdringende Wiedergabe von Geheimnissen des Kosmos, welche nur sie sieht. Der Mief des realen menschlichen Lebens kommt überraschend zusammen in dieser nicht einfachen künstlerischen Natur.

Mich überraschte Larissas absolute Sicherheit im Finden ihres künstlerischen Raumes, in welchem Gedanken, Intuition und Energie Ausdruck finden in ihrem schöpferischen Bewusstsein und auf die Leinwand fließen.

Unterschiedliche Stile und künstlerische Auffassungen verschmelzen bei ihr. Sie demonstriert nicht nur frei assoziierte Zitierung sondern tiefe, eigene Suche und ständige, oft quälende Überlegungen zur Gegensätzlichkeit und dem Zusammenhang von Körper und Seele, von Leben und Tod, von Mann und Frau.

Frauen beschäftigen sich selten so tief mit östlicher Philosophie. Sie hat es geschafft. Schauen sie auf den Ausdruck ihrer Augen und sie werden eine bestimmte Spannung durch die Arbeit mit ihrer eigenen Seele erkennen. Sie ist zerrissen von Philosophie, Wissen und Durchdringen der Gestalt. Sie fühlt sich gut und harmonisch mit sich selber sowie der Leinwand. Alles andere ist nicht so wichtig ...

Das Finden der Malerin expressive Bewegung - ist Verlegung ihres Zustandes. ("Kommen und Gehen, - Hauptmotiv meiner Bilder", sagt sie mir.) Ewige Bewegung ...Diese Bewegung in rot, blau, lila Kolorit spiegelt ihren intellektuellen-emotionalen Lebensstil.

Camus behauptete, wenn ein Schaffender sagt keine einzige eigene Wahrheit bedeutet dies einen Misserfolg. Larissa geht langsam in den Ausdruck formaler Spiele zum Sinn des Lebens über. Die Aufgabe ist schwer, aber für sie lösbar. Ihre Ernsthaftigkeit gibt Hoffnung. Sie ist gewachsen bis zur Stufe des Weltverständnisses, wo ist Platz für Ordnung und Unordnung, für Stabilität und Instabilität, für Vorhersehbares und Überraschendes.

Die Wirklichkeit von anderem. Darin ist vielleicht die Musik ihrer Malerei. Hierher kommt vielleicht die durchdringende blaue Frage von El Greco, die Gebrochenheit und Zärtlichkeit der Moderne, Komposition und koloristische Ganzheit und gleichflächiger russischer Avantgarde plus eigene Empfindung des Schönen in der heutigen Zeit.

In ihrer künstlerischen Natur ist viel von russischem Charakter. Sie ist weich und natürlich, genauso wie mutig und ironisch. Ihre Wert als Künstlerin, das Können im Farbumgang und mit dem Kompositionsaufbau Man kann damit ein Gefühl, einen Zustand, ähnlich einem Dialog anderer starker Persönlichkeit - seine Betrachter. Von den Bildern der Künstlerin geht ein besondere magnetisierende Kraft aus, und irgendwann schrieb Dideroth "verfluchtes, aber kannst nicht weggehen".

In Bildern ... gibt es Zerbrechlichkeit, seelische Gemütsbewegungen, welche findet ihren Ausdruck in durchsichtiger Farbe, besonders malerischem Hintergrund, betonten musikalischen Improvisationen, welche kontrastreiche musikalische Akkorde erlauben.

Im Prozess der kommerzialisierten Kunst kann eine Natur mit höherem geistigen Bewusstsein Künstler bleiben. Losung " Alles zum Verkaufen", man soll überleben, so kann er schützen sich und seine Kunst. Und dann in der nicht eindeutigen Zeit hat eine Künstlerin mit dem Namen Larissa Anerkennung bei den angesehenen westlichen Kunsthistorikern gefunden.

Zum Glück spürt man in ihren Bildern deutlich, dass sie nicht zur Massenkultur gehören will. Ich denke, es gibt alle Gründe die Werke dieser Künstlerin zur elitären Kunst einzuordnen. Ich freue mich für diejenigen, die diese Werke sammeln. Selten wird einem die Chance gegeben, sehen, fühlen und zu begreifen, was ist die Anmut in der Kunst, die mit dem individuellen Künstlerauge gesehen wird.